Felix Kubin erkundet die Spoken-Word-Szene von Los Angeles - Flow als Form

Felix Kubin erkundet die Spoken-Word-Szene von Los Angeles - Flow als Form

Felix Kubin erkundet die Spoken-Word-Szene von Los Angeles - Flow als Form

# Musik und Kultur

Felix Kubin erkundet die Spoken-Word-Szene von Los Angeles - Flow als Form

von Jochen Meißner

Berlin (KNA) Sollte ein Wort eine Wunde oder ein Messer sein? Mit dieser Frage des US-amerikanischen Schauspielers und Autors Duke Haney beginnt Felix Kubins 54-minütiges Hörspiel "Flow - Beyond Baroque and Words". Und er bekommt auf seine Ausgangsfrage ganz unterschiedliche Antworten. Mit einem Wort kann man Dinge entzweischneiden, auch wenn in seiner Mitte ein Loch ist - das "o". Ist man der Antagonist, ist das Wort eher ein Messer, ist man der Protagonist, ist es eher eine Wunde.

Im Jahr 2022 war Felix Kubin als Stipendiat in der Villa Aurora, dem ehemaligen Wohnhaus von Lion Feuchtwanger, im Stadtteil Pacific Palisades von Los Angeles zu Gast. Von dort aus tauchte er in die Spoken-Word-Szene der Westküste ein und landete im "Beyond Baroque", dem ehemaligen Rathaus von Venice, das jetzt ein literarisches Kunstzentrum beherbergt. Dort ist er Autoren wie Anne McGuire, Mariano Zaro, Pat O'Neill, Conney D. Williams, Tongo Eisen-Martin, Lynne Thompson, Homer Flynn, Iván Salinas, 99 Hooker, Duke Haney, Andrew Maxwell und Shonda Buchanan begegnet, die ihm bereitwillig ihre Gedichte ins Mikrofon gesprochen haben.

Kubins kurze Reiseerzählungen auf den Straßen von Los Angeles rahmen das dreiteilige Stück, das weitgehend auf den Sound der auf Englisch vorgetragenen Gedichte vertraut. Von "Beyond Baroque" über "Lost in L.A." bis zu "Living on a crack" zeichnet Kubin ein Panorama der literarischen Szene im Winter 2022 - einer historischen Atempause zwischen zwei Trump-Administrationen.

Kommunikative Infrastrukturen

Einer der zentralen Texte des ersten Teils ist das einzige spanische Gedicht im Hörspiel und stammt von Iván Salinas, Programmchef des "Beyond Baroque". Es arbeitet mit einem schwer übersetzbaren Wortspiel, denn "calle" heißt auf Spanisch "Straße", kann in ein bestimmt Konjugation aber auch "Halt's Maul" bedeuten. In dem Gedicht "Pido que dios calle" ("Ich möchte, dass Gott die Klappe hält") geht es also sowohl um die Bitte um Ruhe, als auch um kommunikative Infrastrukturen, denn: "Der Verkehr ist Straße."

Kubins Übersetzungen der Gedichte, die mal vorher, mal mittendrin und mal im Anschluss an die Originaltexte eingesetzt werden, wirken wie Nachdichtungen oder Reaktionen aus einer anderen Perspektive. Hier werden die Texte nicht einfach auf Deutsch wiedergegeben, sie überlappen vielmehr die Vorlage und treten mit ihr in einen Dialog.

Da Felix Kubin aber nicht nur Autor, sondern in erster Linie Musiker ist, findet der Dialog auch auf klanglicher Ebene statt. So werden die Texte um häufig nervöse Kompositionen ergänzt: "Fragments of rhythm / my truck counting its irregular beats", heißt es in einem der Zentraltexte des zweiten Teils von 99 Hooker. Dort entsteht - in Kubins Übersetzung - "Eine angegliederte Ordnung, / wo, während wir uns fortbewegen, / die Welt wahrhaftiger zusammengefügt ist." Ebenfalls von 99 Hooker stammen zwei Gedichte, die im Wechsel auf dem rechten und linken Stereokanal miteinander verwoben werden - und das funktioniert erstaunlich gut.

Lyrische Collage

Während die Beat-Poeten der 1960er Jahre ihre Texte zu Jazz und Bebop performten, konfrontiert Kubin sie heute mit elektronischen Kompositionen. Er will den "Flow" des amerikanischen Englisch ganz wörtlich verstanden wissen, nämlich als "ein Sich-Treiben-Lassen, Umherschweifen und Vibrieren zwischen den Polen".

Der zentrale Text des dritten Teils - "Return the white breath to its black body" - stammt von Shonda Buchanan. Er besteht aus einer Aneinanderreihung von Zurücknahmen: Die Kugel, zurück in die Waffe, die Waffe ins Holster, die Hand zurück an die Seite, der Polizist zurück ins Auto und so weiter, bis schließlich der Kosmos wieder in dem schwarzen Loch verschwinde, aus dem er entstanden ist.

So unterschiedlich die literarischen Sprachen der einzelnen Autoren auch sind, so homogen erscheinen sie in Kubins Radiofassung. Echos der Klangsprache von Laurie Anderson bis hin zu den Residents vereinigen sich mit Klängen, die an Kubins eigenes Hörspiel "Orphée mécanique" aus dem Jahr 2012 erinnern.

Am Ende wird die Ausgangsfrage nach dem Charakter des Wortes als Waffe oder Wunde in einer lyrischen Collage wieder aufgenommen. Beantwortet wird sie nicht. Dafür hat sich jedoch Kubins Glaubensbekenntnis vom Anfang des Hörspiels realisiert: "Where there is an ear there is a listener. Where there is a mouth there is a signal." (Wo ein Ohr ist, ist ein Hörer, wo ein Mund ist, ist ein Zeichen). Doch manchmal wünscht man sich als Hörer, dass das Radio gerade bei so lyrischen Stücken wie "Flow" auch einen zweiten Kanal bespielen würde, über den es bereits verfügt: den der Schrift. Via RDS oder DAB+ wäre das leicht möglich, denn: wo ein Auge ist, ist auch ein Leser.

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Informationen

Felix Kubin: "FLOW. Beyond Baroque and Words", Bayern 2, 01. August, 20.05 bis 21 Uhr.

https://www.br.de/radio/bayern2/programmkalender/ausstrahlung-3863170.html


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