Drei ARD-Sender zeigen ab Ende Juni queeres Kino "Ein bunter Strauß queerer Lebensentwürfe"

Drei ARD-Sender zeigen ab Ende Juni queeres Kino "Ein bunter Strauß queerer Lebensentwürfe"

Drei ARD-Sender zeigen ab Ende Juni queeres Kino "Ein bunter Strauß queerer Lebensentwürfe"

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Drei ARD-Sender zeigen ab Ende Juni queeres Kino "Ein bunter Strauß queerer Lebensentwürfe"

Von Clara Engelien (KNA)

FILM - Dem deutschen Fernsehen wird oft viel Norm und wenig Wagnis nachgesagt. Die ARD-Filmreihe über das Leben queerer Menschen geht andere Wege: Von feinfühligen Coming of Age-Filmen bis zu mitreißenden Beziehungsdramen - die Auswahl ist facettenreich.

Berlin (KNA) Oft sind es die Blicke, von der Kamera in eindringlichen Aufnahmen eingefangen. Die stechenden, neugierigen oder herabwürdigenden Blicke der anderen. Die Blicke der Protagonistinnen und Protagonisten ins eigene Spiegelbild. Die aus den Augen ihrer Geliebten. Blicke spielen in vielen Filmen der queeren ARD-Sommerreihe eine wichtige Rolle. Sie markieren die Grenzen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und einer mal mehr, meistens weniger akzeptierten Gruppe. Und offenbaren zentrale Fragen der queeren Protagonisten: Wie sehe ich aus? Wie reagiert die Gesellschaft auf mich, auf mein Handeln und Erscheinungsbild? Werde ich geliebt wie ich bin?

Es ist das achte Jahr der vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ins Leben gerufenen Filmreihe, die jeden Sommer ausgehend vom Pride-Monat Juni stattfindet und bei der seit vier Jahren auch der Bayerische Rundfunk ein fester Bestandteil ist. Dieses Jahr beginnt sie am 26. Juni, und erstmals ist auch der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) mit dabei. Eröffnet wird sie mit dem BR-Film "Passages", einem Beziehungsdrama über eine Ménage-à-trois des renommierten US-amerikanischen Regisseurs Ira Sachs. Mit "Drifter" endet die Reihe am 31. Juli, dem Debütfilm des Berliner Regisseurs Hannes Hirsch über die Suche eines jungen schwulen Mannes nach sich selbst im Setting des Berliner Nachtlebens.

Hetero-Norm herrscht im TV vor

Bei sechs der insgesamt vierzehn Filme handelt es sich um deutsche Erstausstrahlungen, drei sind Free-TV-Premieren, alle von ihnen stehen nach ihrer Ausstrahlung für 30 Tage in der ARD-Mediathek. Die Auswahl der Filme sprengt die im deutschen Fernsehen sonst eher vorherrschende Hetero-Norm. Die zeitgenössischen Art-House-Filme sind festivalerprobt, sie brechen nicht selten mit ästhetisch-konventionellen Formen und trauen sich im Erzählstil mehr als der durchschnittliche deutsche Fernsehfilm. Was auch daran liegen dürfte, dass sie aus aller Welt kommen: In diesem Jahr sind neben einer Handvoll deutscher Produktionen auch kanadische, portugiesische oder australische Filme vertreten.

Die am meisten sichtbaren queeren Perspektiven sind auch in der Reihe die Perspektiven von Schwulen und Lesben. Eine viel seltener gesehene ist dagegen die von Asexuellen, weshalb der Film "Slow" (BR, 17. Juli) der litauischen Regisseurin Marija Kavtaradze besonders heraussticht. Ausgezeichnet mit dem Regiepreis beim Sundance-Festival wird der Liebesfilm seinem Namen gerecht. Zart und ruhig zeichnet er ein Bild der Beziehung zwischen Tänzerin Elena und Gebärdendolmetscher Dovydas. Er übersetzt einen Tanzkurs für Gehörlose, den sie anleitet, und vom ersten Moment an haben sie das Gefühl, sich schon lange zu kennen. Doch während Elena ein aktives Liebesleben gewöhnt war, ist sexuelle Anziehung ein Gefühl, das Dovydas weder kennt noch braucht. Mit viel Geduld begeben sie sich dennoch auf den Weg als Paar, auf der Suche nach einer Form von körperlicher Intimität, die für beide stimmig ist.

Kanadischer Klassiker über Coming-Out

Auch das mitreißende Liebesdrama "Laurence Anyways" (RBB, 10. August) des kanadischen Regisseurs Xavier Dolan behandelt die Höhen und Tiefen eines Paares. Laurence und Fred führen eine erfüllte, schwungvolle Beziehung. Dann outet Laurence sich als trans, möchte endlich als Frau leben. Die beiden bleiben vorerst zusammen, Fred will Laurence unterstützen. Doch der Druck der Gesellschaft und Freds Hadern mit Laurences Transition strapazieren ihre Liebe bis über die Grenze. Der Film brilliert mit temporeichen, mal sensiblen, mal stürmischen Dialogen und einer selten gesehenen Bild- und Klanggewalt, die die extremen Gefühlszustände der Hauptfiguren kraftvoll illustriert. Der vielfach ausgezeichnete Film erhielt unter anderem beim Filmfestival in Cannes 2012 die "Queer Palm".

Einen "bunten Strauß queerer Lebensentwürfe" nennt Till Burandt von Kameke, der beim RBB-verantwortliche Filmredakteur, die Reihe. Wobei manche Filme auch inhaltlich korrespondieren: Neben dem Film "Drifter" gibt es so noch einen weiteren, der sich im Berliner Nachtleben abspielt; neben "Laurence Anyways" einen weiteren kanadischen Klassiker. So seien Zuschauer, die sich im Fernsehen von RBB, BR und MDR oder in der ARD Mediathek die Filme hintereinander ansehen, in der Lage, sich ihr Bild von der queeren Community mosaikmäßig zusammenzusetzen, sagt Burandt von Kameke.

Öffentlich-rechtlicher Auftrag

Er und sein Team hatten schon 2018 festgestellt, dass das queere Kino im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unterrepräsentiert ist. "Dem wollten wir Abhilfe schaffen", sagt Burandt von Kameke heute. Ein Ausgangspunkt ihrer Überlegungen sei aber auch das Selbstverständnis des Auftrags öffentlich-rechtlichen Fernsehens gewesen. "Queeres Leben ist fester Bestandteil der Gesellschaft. Wir machen Programm für alle, da hat die queere Community Anspruch darauf, ihre Lebenswelten auch im fiktionalen Bereich wiederzufinden - bestenfalls aus ihrer eigenen Perspektive", so Burandt von Kameke.

Richtet sich die Reihe also vor allem an das queere Publikum? Nein, es sei queeres Filmprogramm für alle Interessierten - das Burandt von Kameke nicht didaktisch verstanden wissen will. "Es soll einfach Lust auf Kino machen: Das sind hervorragende Filme, die wir hier präsentieren, und das verdient die Aufmerksamkeit." Und die bekommt die Reihe: Die erste Ausgabe von RBB queer löste medial wie beim Publikum ein so großes Echo aus, dass sich die Redaktion ermutigt sah, das Ganze fortzuführen. Innerhalb der ARD ist die Resonanz auch groß, und in den konstant hohen Abrufzahlen der ARD-Mediathek spiegelt sich dieses Interesse wider: Im vergangenen Jahr hatten die Filme, die alle jeweils 30 Tage lang in der Mediathek verfügbar waren, insgesamt rund 3,5 Millionen Abrufe, im Jahr zuvor waren es 2,6 Millionen.

Zeiten florierender Intoleranz

Kritikern einer "Über-Repräsentanz" queerer Sichtbarkeit widerspricht der RBB-Redakteur. Laut einer Ipsos-Studie aus diesem Jahr zur Situation queerer Menschen in Deutschland identifizieren sich zwölf Prozent der Deutschen als LGBTQIA+. "Verschiedene Erhebungen der letzten Jahre zeigen, dass queere Figuren und Stoffe im TV immer noch unterrepräsentiert sind", sagt Burandt von Kameke. Demokratie bedeute für ihn dabei immer auch Berücksichtigung und Schutz von Minderheiten: "Wir wissen alle, dass wir in einer Zeit leben, in der Extremismus und Intoleranz florieren. Umso wichtiger ist so eine Reihe."

Einer, der das besonders begrüßt, ist Mathias Fangohr. "Ich sag's Ihnen ganz frei raus, ich bin froh, dass der MDR endlich mitmacht." Fangohr sitzt, entsandt vom Lesben- und Schwulenverband Sachsen-Anhalt, im Rundfunkrat des ostdeutschen Senders. Dort setzt er sich für queersensible Berichterstattung und einen diskriminierungsfreien Umgang mit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt ein.

Der MDR ist dieses Jahr mit der sinnlichen, schwulen Liebesgeschichte "Norwegian Dream" (22. Juli) des polnisch-norwegischen Regisseurs Leiv Igor Devold in der Filmreihe vertreten. In seinem Coming-of-Age-Spielfilmdebüt treffen Devolds beide Herkünfte in den Hauptfiguren aufeinander: Der 19-jährige Pole Robert kommt aus prekären Verhältnissen und zieht in die Weite der norwegischen Fjord-Landschaft, um in einer Fischfabrik Geld für sich und seine Mutter zu verdienen. Ivar ist der Adoptivsohn des norwegischen Fabrikeigentümers. Die körperliche Anziehung zwischen den beiden, ihre Sehnsucht nach der Nähe des Anderen ist mit Händen zu greifen. Aber es trennt sie nicht nur ihre sozioökonomischen Lage, sondern auch, wie offen sie bereit sind, ihr Schwulsein zu zeigen.

Mehr queere Themenvielfalt

"Vor nur wenigen Jahrzehnten gab es so etwas wie queere Sichtbarkeit ja gar nicht", sagt Mathias Fangohr, der selbst in einer schwulen Ehe lebt und sich seit mehr als zwanzig Jahren für die Rechte von queeren Menschen engagiert. Dabei müssen es für ihn gar nicht explizit queere Filme sein. "Genauso wichtig ist es, dass in jedem 'Tatort' Vielfalt stattfindet." Fangohr wünscht sich aber auch in den Geschichten, die über queere Menschen erzählt werden, mehr Vielfalt: Nicht nur Coming-Out und Sexualität, sondern auch queere Menschen mit Behinderungen in den zu Fokus nehmen, queeres Alleinsein im Alter oder queeres Familienerleben mit Kindern zu thematisieren, sei nach wie vor kaum üblich.

Obwohl Fangohr sagt, dass es für ihn viele Bereiche gibt, in denen seine Sexualität klar toleriert werde, besorgt ihn das Erstarken rechter Kräfte. Queerfeindlichkeit ist schon immer ein Bestandteil der rechtsextremen Szene gewesen, Soziologen sprechen inzwischen von einer neuen Generation junger Neonazis, deren Mobilisierung in den letzten zwei Jahren besonders gegen Christopher-Street-Day-Veranstaltungen in Ostdeutschland auffällig wurde. Heute müssen diese stärker geschützt werden denn je.

Fernsehfilme, die einen großen Teil der deutschen Gesellschaft erreichen, können aus Fangohrs Sicht dazu beitragen, diese gesellschaftliche Spaltung etwas aufzuweichen. Denn auch in einer Demokratie seien queere Rechte keine Selbstverständlichkeit. "Alle Rechte, die wir uns erkämpft haben, müssen wir verteidigen, dass sie uns auch erhalten bleiben und bestenfalls noch weiter ausgebaut werden", findet er. Darum brauche es queere Sichtbarkeit auf den Straßen, in Diskussionen, zu Hause am Familientisch - und eben in den Medien.

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